Warum gehst du für ein halbes Jahr nach Costa Rica?
Das war eine Frage, die mir sehr häufig gestellt wurde, wenn die Sprache auf meinen Schüleraustausch kam.
Gründe gab es dafür einige: ich wollte eine neue Sprache lernen, eine neue Kultur kennenlernen, nette Leute treffen, fernab von geordneten Alltag in Deutschland leben und ganz insgeheim hatte ich auch gehofft, einfach mal ein halbes Jahr lang Kokosnussmilch schlürfend am Strand verbringen zu können.
Nach ewiglanger Vorfreude kam ich am 8.7.10 nach 15 anstrengenden Stunden Flug, vollkommen aus dem Alltag gerissen, in Alajuela, Costa Rica, an.
Noch einige Stunden zuvor hatte ich nur meine Schultasche in die Ecke gepfeffert und war nach Frankfurt zum Flughafen gefahren. Die Sachen hatte in den schulfreien Nachmittagen vor der Abreise gepackt und fast ohne mich noch einmal mental vollkommen auf mein halbjähriges Abenteuer Palmen vorbereiten zu können, stand ich jetzt da und wartete auf meine erste Begegnung mit meiner Familie.
In einem Rausch aus Vorfreude hatte ich zwei grundlegende Dinge vergessen: In Costa Rica beginnt ab Juli die Regenzeit und der Strand ist zwei Stunden Busfahrt von meiner Haustür entfernt, na toll, also alles ganz anders als ich mir vorgestellt hatte.
Und auch das Haus, das für das kommende halbe Jahr meine Bleibe bilden sollte, machte mir zum einen durch sein teilweise undichtes Dach, zum anderen durch einen schrecklichen Heuschnupfen zu schaffen, wodurch das Einleben im ersten Moment wirklich schwer fiel.
Besonders hart war das erste Wochenende, an dem ich an beiden Tagen mit meinen Gastbrüdern vor dem Fernseher hockte, Sendungen schaute, die ich nicht verstand oder Filme sah, die in Deutschland schon seit 50 Jahren nicht mehr geschaut werden.
Ich muss zugeben, mittlerweile bin ich um nichts besser. Während ich in Deutschland mein Wochenende mit Sport treiben und für die Schule arbeiten verbracht habe, liege ich hier den ganzen lieben Samstag und Sonntag auf der faulen Haut, stehe spät auf und verbringe dann viel Zeit vor dem Fernseher oder schlendere durch die benachbarte Mall.
Das hört sich wahnsinnig langweilig an, aber mir gefällt es mittlerweile genauso gut wie die Aktiv-wochenenden in Deutschland.
Insgesamt gibt es viele Dinge, an die ich mich erst gewöhnen musste. Dazu gehört einmal, dass alles viel zu klein für mich ist, ich muss mich beispielsweise im Bus immer seitlich hinsetzen, da ich mit meinen Beinen an die vordere Sitzreihe stoße, geduscht wird sowieso nur halb gehockt und von der Schulbänken möchte ich gar nicht reden.
Zudem musste ich mich auch erst daran gewöhnen, dass es weder eine Spülmaschine, noch warmes Wasser gibt, ich nicht mehr Bus fahren darf, wenn es dunkel ist, was auch damit zusammenhängt, dass die Busse hier immer andere Routen fahren (eine Sache, an die man sich nie gewöhnt), dass alle Häuser mit einem mindestens 2m hohen Zaun abgesichert sind und dass man eben am Wochenende ausruht.
Ausgeruht wird sich allerdings nur so lang, wie es keine Fiestas gibt und die gibt es fast jedes Wochenende. Diese Fiestas sind meist das, was man in Deutschland unter House-Partys versteht und die Ticos verstehen wirklich etwas vom Feiern und ich weiß nicht wie, aber ich habe es geschafft nahezu wöchentlich auf eine dieser Feiern eingeladen zu werden
Zum Alltag gehört auch, dass es hier jeden Tag mindestens einmal ausgiebig regnet, und wenn man zufälligerweise grade im Haus ist, ist Kommunikation nicht möglich, so stark prasselt der Regen aufs Wellblechdach.
Was nie zu meinem Alltag werden wird, da bin ich mir sicher, ist das frühe Aufstehen. Mein Wecker geht um 5:30 morgens, dann heißt es schnell duschen, Frühstücken, bevor es dann in einen total überfüllten klapprigen Bus, der eigentlich genau vor meiner Haustür abfährt, 40 Minuten lang Richtung Schule geht.
Die Schule ist dann meistens ein Wechsel aus langweiligstem Frontalunterricht, in dem teilweise wortlos etwas an die Tafel geschrieben wird, was dann abzuschreiben und zum nächsten Examen auswendig zu lernen ist, und einfachem Abhängen. Hat der Lehrer keine Lust auf Unterricht, dann macht er auch keinen oder er gibt den Schülern Gruppenarbeiten, die dann sowieso niemand macht. Stattdessen wird schon die nächste Fiesta geplant oder der vergangene Fußballspieltag beredet.
Für einen blutigen Spanischanfänger, wie ich es zu Beginn meines Austausches war, war das natürlich die Hölle, doch mittlerweile fange ich an, mich mit dem Schulsystem hier anzufreunden, mache mir aber schon Gedanken, wie das werden soll, wenn ich erstmal wieder in Deutschland bin...
Ja, und den Strand habe ich auch erst einmal gesehen. Nein, nicht auf einer Postkarte! Richtig echt und in Farbe. Und die Farbe, die ist wirklich unglaublich! Beginnend mit sattgrünen Palmen, über den fast weißen Sand, bis hin zum satten blau des Meeres, wirkt das ganze fast künstlich, bis man sich eine handvoll kaltes Pazifikwasser ins Gesicht gespritzt hat, wieder aus seinem Staunen aufwacht und mit noch wacheren Augen die Farben der costaricanischen Küste wahrnimmt.
Aber es gibt auch noch mehr Natur in Costa Rica, als die Strände. So habe ich beispielsweise auf einer Reittour auf echten costaricanischen Pferden den Regenwald erkundet und von meiner Austauschorganisation wurde mir der Besuch des zweitgrößten Vulkans der Erde, den Arenal, in Aussicht gestellt.
So komme ich vielleicht doch noch auf meine Kosten, was Natur betrifft... und ab Oktober wird das Wetter besser, wenn man den Prognosen meiner Gastfamilie glauben darf
Mein erstes Drittel in Costa Rica neigt sich mit dem Ende dieser Woche dem Ende zu, und nach langer Zeit des Eingewöhnens, hoffe ich jetzt auf zwei weiter Drittel voller, Natur, Fiestas und entspannter Wochenenden, bevor ich dann ins (hoffentlich) verschneite Deutschland zurückkehre und mich wieder meinen deutschen Pflichten wie Pünktlichkeit und Fleiß zuwende.
Doch bis dahin genieße ich die Zeit hier
Pura Vida
Leonard Niestadtkötter